Der Rabe, der Rabe hat alles gesehen, die Nadelstiche aus Licht, die aus dem Fensterrahmen schossen, als das Glas zerbarst. Die drei roten Tropfen, die als Blutzoll von meiner Handfläche fielen, ins Blumenbeet, dem Rosenstock zu Füssen. Er krächzte, einmal nur, das bedeutet Glück. Hätte er dreimal gekrächzt, wäre ich umgekehrt, hätte mich vom verschlafenen Haus abgewandt, wäre den grautürkisfarbenen Wänden geisterhaft gefolgt, durch den mit militärischer Präzision gepflegten Garten, und wäre auf den Vorstadtstrassen verschwunden, eine gebeugte Gestalt mit schmutzigem Rucksack, die Kapuze tief im Gesicht.
Aber der Rabe, der Rabe krächzte nur einmal und so kletterte ich vom Blumenbeet auf den Fenstersims und durch das glasgezahnte Loch. Ein Geruch von Putzmitteln und Staub empfing mich, ein beruhigendes Gefühl der Abwesenheit, des Wartens. Ich schaute mich um. Die letzten Strahlen der Abendsonne waren mir durch das zerbrochene Fenster gefolgt, zeigten mir die dämmrigen Umrisse einer Küche, bevor sie sich in der Stille des Hauses verloren.
Ich stellte meinen Rucksack neben den Herd, öffnete den Kühlschrank, der surrend erwachte, seine fast leere Bauchhöhle ausleuchtete, bis ich ihn wieder schloss. Ich öffnete Kästchen und Kästen, und wurde schliesslich in der kleinen Vorratskammer fündig, die sich hinter der vermeintlichen Kellertür verbarg. Mehl, Zucker, Schokolade, Backpulver, ich reihte sie auf dem Küchentisch auf, suchte Butter im Tiefkühlfach, Salz und Zimt im Gewürzregal. Die Eier hatte ich mitgebracht.
Das Küchengerät fand ich im Schrank, die Kuchenformen unter dem Backofen. Ein Herz hatte ich zur Auswahl, und eine Rose. Ich wählte das Herz. Noch würde es ihr gefallen, in ein paar Jahren werde ich die Rose wählen. In ein paar Jahren werde ich in der eigenen Küche backen, werde nicht mehr auf fremde Geräte angewiesen sein, zwischen Formen wählen müssen, die ich nicht gewählt habe. In ein paar Jahren, bestimmt.
Während der Teig im Ofen buk, wanderte ich durch die Räume des Hauses, schaute mir die Fotos an, auf denen sich die Gestalten in der Dunkelheit nur schemenhaft abzeichneten. Aber ich brauchte sie nicht genau zu sehen, ich wusste auch so, was sie zeigten. Glückliche Paare, stolze Eltern, Babybilder, Ferienfotos, Klassenporträts und dazwischen, manchmal, Angeltrophäen. Die Schlafzimmer waren oben, aufgeräumt, jemand hatte die Betten vor der Abreise frisch bezogen, ein Geruch von Jasmin hing noch in der Luft.
Den Schmuck hatten sie nicht versteckt, er lag fein säuberlich geordnet in der obersten Schublade des weiss-lackierten Schminktisches im Elternzimmer, links die Fingerringe, goldene, silberne, mit Diamanten und Bernstein. Die Ohrringe, rechts, waren nach ihrer Grösse sortiert und die Kettchen, in der Mitte, sorgfältig aufgerollt. Die Anhänger blitzen auf, als ich mit der Taschenlampe kurz darüber leuchtete, bevor die Dunkelheit sie und mich und die Versuchung wieder schluckte. Ich schob die Schublade zu, liess alles an seinem Platz. Schlüpfte stattdessen ins Kinderzimmer, wo gläserne Teddy-Augen meinen tastenden Schritten folgten.
Draussen krächzte der Rabe, ich knipste die Taschenlampe ein zweites Mal wach, liess den Lichtstrahl über das Büchergestell schweifen. Mein Blick wanderte über die Titel und meine Finger über die Bücherrücken. Da, ich zog ein Buch aus dem Regal, fuhr mit der Hand zärtlich über den Deckel und steckte die Taschenlampe wieder in die Hosentasche. Aus der Küche rief mich der Timer mit einem aufdringlichen Piepen, und während der Kuchen auf dem Tresen auskühlte, wickelte ich das Buch in Alufolie, formte aus dem dünnen Metall eine Schleife, liess das Geschenk in meinen Rucksack gleiten.
Eine halbe Stunde später war die Küche sauber, der Kuchen verpackt. Der Rabe sass noch immer draussen im Geäst, sah im Mondlicht zu, wie ich aus dem Fenster kletterte, den Rucksack vorsichtig durch die Scherben hob. Vom Fenstersims sprang ich ins Blumenbeet, landete dem Rosenstock zu Füssen. Dunkle Erde blieb unter meinen Fingernägeln haften, als ich meine Spuren verwischte. Der Rabe, der Rabe sah zu, wie ich den grautürkisfarbenen Wänden entlang schlich, durch den mit militärischer Präzision gepflegten Garten, und auf den Vorstadtstrassen verschwand. Er krächzte, einmal nur, das bedeutet Glück. Dann breitete er die schwarzen Schwingen aus und folgte mir in die Nacht. Wir wurden vom Geburtstagskind erwartet.